TEIL III
Das Alltagsleben im besetzten Charkiw.
Die Besatzung von Charkiw durch die Nazis dauerte 21 Monate, von Oktober 1941 bis August 1943. In dieser Zeit wurde die Stadtbevölkerung vielen physischen und moralischen Prüfungen unterzogen, die sofort und später erfolgten. Vor der Ankunft der Deutschen wurde die Stadt mit einer absichtlich zerstörten Infrastruktur zurückgelassen: kein Wasser, keine Heizung, keine Kommunikation. Während der Besatzung wurde Charkiw entvölkert, die Menschen litten und starben in der Stadt, wurden evakuiert oder flohen einfach aus der Stadt, wurden an die Front mobilisiert und zwangsweise nach Deutschland deportiert.
Die schrecklichste Prüfung war die künstlich herbeigeführte Hungersnot, die die Stadt buchstäblich unmittelbar nach Beginn der Besatzung erfasste. Der erste Winter der Besatzungszeit war der schlimmste: Die Bewohner starben an Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten. Nach verschiedenen Schätzungen von Historikern starben während der Besatzung bis zu 100 000 Menschen in der Stadt an Hunger.
Eine andere Seite des Lebens in der Stadt unter der Besatzung war die Zwangsdeportation ukrainischer Jugendlicher zum Arbeitseinsatz in Deutschland. Während die ersten Staffeln im Winter 1941 diejenigen, die sich freiwillig meldeten, ins Reich brachten, wurde im Frühjahr 1942 die Mobilisierung zur Pflicht: Fast alle Jugendlichen über 16 Jahren wurden deportiert. Den Jugendlichen und ihren Familien drohten Strafen, wenn sie dem Ausreisebefehl nicht nachkamen.
In den ersten 10 Monaten der Zwangsmobilisierung wurden mehr als 70.000 Einwohner aus der Stadt gebracht. Sie wurden in sogenannten Kälberwagen transportiert, oft im Stehen, hungrig und ohne sanitäre Grundversorgung. In Deutschland wurden sie auf Börsen und Arbeitsmärkten regelrecht aufgekauft und fortan als Ostarbeiter bezeichnet.
Mitte Februar 1943 wurde Charkiw zum ersten Mal von den Nazis befreit. Von Ende Februar bis Mitte März 1943 wurde die Stadt für die Rote Armee mobilisiert. Nach deutschen Angaben wurden bis zu 15.000 Einwohner im Alter von 15 bis 45 Jahren aus der Stadt mobilisiert und ohne oder mit nur geringer Ausbildung an die Front geschickt.
Während der Besatzung halbierte sich die Einwohnerzahl der Stadt. Die Menschen starben an Hunger und Krankheiten, flüchteten auf das Land, junge Menschen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht und im Frühjahr 1943 zur Roten Armee mobilisiert. Die gesamten Bevölkerungsverluste der Charkiwer Bevölkerung während des Krieges beliefen sich auf 700 Tausend Menschen.